max goelitz freut sich, die Künstlerinnen Jenna Sutela und Pamela Rosenkranz in Zusammenarbeit mit der Galerie Sprüth Magers zu einer Ausstellung einzuladen, die menschliche und mehr-als-menschliche Akteure zusammenbringt. Im Fokus von dirt steht die lebende Installation Vermi Cell von Jenna Sutela, ein Kompost aus Erde, Setzlingen und Regenwürmern, der sich während des Ausstellungszeitraums stetig weiterentwickelt und Energie für ein Soundsystem generiert. Die Werke von Pamela Rosenkranz treten mit diesem Organismus in einen Dialog und verhandeln die Idee von „Natur“, indem sie den menschlichen Blick darauf reflektieren. Beide Künstlerinnen versuchen, die Grenze zwischen Organischem und Synthetischem aufzulösen. In der Ausstellung entsteht ein Environment, das die Vorstellung hinterfragt, dass alles für den Menschen immer verständlich und verfügbar sein sollte.
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All Photos: Dirk Tacke | unless otherwise stated
– Jenna Sutela
Photo: Ellie Lizbeth Brown
Jenna Sutela (*1983 in Turku, FI) arbeitet mit biologischen und computergestützten Systemen, um audiovisuelle Werke, Skulpturen, Bilder und Performances zu schaffen. Mit Hilfe eigener Systeme und Algorithmen legt die Künstlerin aus Unordnung verborgene Muster und Bedeutungen offen und arbeitet dabei mit künstlichen neuronalen Netzwerken oder Bakterien. Mit ihrem kollaborativen Ansatz verweist sie auf dezentrale Organisationsformen, hinterfragt soziale Hierarchien, thematisiert die Kommunikation zwischen Arten und die Verbindung von Bewusstsein und materieller Welt. Ihre prozesshafte Arbeiten stützen sich auf neueste wissenschaftliche Forschung und reflektieren deren gesellschaftspolitische Konsequenzen. Sutelas Arbeit fördert die Idee eines symbiotischen Netzwerks und der Abkehr vom Anthropozentrismus. Ihre Praxis verdeutlicht, dass der Mensch nicht im luftleeren Raum, sondern in symbiotischen Ökosystemen mit Bakterien, Schimmelpilzen, Computern und vielen anderen Elementen lebt, die sich teilweise unserem Verständnis entziehen.
Installation view Neither A Thing, Nor An Organism, Bold Tendencies (2018) | Photo: Damian Griffiths
Vermi Cell (2023) ist eine audiovisuelle Installation aus Komposthaufen, in deren Innerem Würmer und mikrobiologische Organismen die Energie für ein Soundstück generieren. Diese Energie wird durch Elektronen aus dem Kompost gewonnen, die durch leitfähige Stäbe fließen und je nach Zustand der Erde die Intensität der Töne variieren. Sutela schafft mit Vermi Cell ein Environment, das auf die Bedürfnisse der Organismen innerhalb der Erde ausgelegt ist und nicht primär für die Betrachtenden. Tatsächlich sind die Prozesse, die im Kompost ablaufen, nicht visuell wahrnehmbar, sondern können durch den Klang wahrgenommen werden, der durch die Computerverarbeitung ermöglicht wird.
– Jenna Sutela
Many-Headed Reading (2017) | Photo: Mikko Gaestel
Energy Poem (2023) ist ein Gedicht, das Jenna Sutela mit essbarer Tinte auf essbares Papier druckt und mit dem sie dazu einlädt, ihr Werk nicht nur rein visuell und intellektuell zu erfahren, sondern den Körper mit all seinen Mikroorganismen miteinzubeziehen. Die Künstlerin fordert das Publikum zur Reflektion über die Generierung, das Verstehen und Teilen von Wissen auf und regt dazu an, alternative Formen der Wahrnehmung und Interaktion in Betracht zu ziehen. Dabei verdeutlicht Sutelas Arbeit, dass es eine unsichtbare Verbindung zwischen dem Mikroskopischen und dem Kosmischen gibt, verkörpert durch Organismen wie „Bacillus subtilis“, die sowohl im menschlichen Darm als auch in den Weiten des Weltalls existieren können.
Energy Poem zielt darauf ab, den Begriff der Lesbarkeit und das Verständnis von Intelligenz zu erweitern und hinterfragt die traditionelle Hierarchie zwischen Menschen und mehr-als-menschlichen Lebensformen. So wird die Rezeption des Werks buchstäblich zu einer symbiotischen Zusammenarbeit, welche im Zentrum von Sutelas fortlaufender Erforschung von Intelligenz und Bewusstsein steht und es ermöglicht mit den unzähligen unsichtbaren Spezies, die uns umgeben und in uns leben, in Kontakt zu treten.
– Pamela Rosenkranz
Photo: Marc Asekhame
Pamela Rosenkranz (*1979 in Uri, CH) widmet sich in ihrer künstlerischen Praxis der Untersuchung von Identität, Wahrnehmung und Körperlichkeit im Kontext einer zunehmend technologisierten Welt. Ihre konzeptuellen Werke, die Skulptur, Installation und Malerei umfassen, erkunden die materiellen Grundlagen des Menschseins und hinterfragen die vermeintlich festen Kategorien von Natur und Künstlichkeit. Rosenkranz verwendet beispielsweise frei verfügbare Stock-Bilder und synthetische Materialien wie Pigmente und Flüssigkeiten, um auf die physiologischen und psychologischen Reaktionen des menschlichen Körpers zu verweisen und diese in Beziehung zu wissenschaftlichen, kulturellen und philosophischen Diskursen zu setzen. In ihren Arbeiten hinterfragt sie das klassische Verständnis von Identität und stellt Überlegungen dazu an, wie sich wissenschaftliche Erkenntnisse – insbesondere aus der Neurowissenschaft und der Evolutionsforschung – auf unser Selbstverständnis und Verhältnis zur Umwelt auswirken. Sie lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass Identität kein konstantes Konstrukt ist, sondern ein Prozess, der in ständiger Veränderung begriffen ist.
Installation view Swiss Pavilion, La Biennale di Venezia (2015) | Photo: Marc Asekhame
So entsteht eine Ambivalenz zwischen der symbolischen Bedeutung des Auges als Erkenntnis und der tatsächlichen physischen Wahrnehmung, die multisensorisch im Körper stattfindet und in die zahlreiche biochemische Prozesse unterbewusst involviert sind. Rosenkranz unterstreicht die Durchdringung des Äußeren und Inneren, des Dargestellten und Körperlichen. Sie hinterfragt tradierte Blickregime und das Auge als primäres Organ der Erkenntnisgewinnung, indem sie die fluiden und versteckten Komponenten des Körpers hervorhebt.
– Pamela Rosenkranz
Die Werkserie Anamazon (2021) von Pamela Rosenkranz zeigt wie sich die Wahrnehmung von Naturaufnahmen und digitale Bildproduktion überlagern. Sie greift dabei auf Stock-Fotos der Plattform Alamy von Regenwaldlandschaften zurück, die sie als Pigmentdruck auf Aluminium überträgt. Rosenkranz untersucht in diesen Werken die Manipulation von Bildmaterial und hinterfragt dabei die Art und Weise, wie visuelle Informationen in der digitalen Sphäre aufbereitet und konsumiert werden. Die Künstlerin verdeutlicht die Kluft zwischen der unberührten Natur und deren kommerzieller Nutzung durch digitale Medien.
– Pamela Rosenkranz
Video: Humans Are Mammals, Louisiana Channel (2022)
Die Werkserie Healer Scrolls (2023/2024) spiegelt die Schnittstelle von Natur und Technologie wider, indem Pamela Rosenkranz präzise konstruierte Schnitte im Papier setzt, um Muster zu erzeugen, die an Schlangenschuppen erinnern. Die Werkserie besteht sowohl aus bedruckten, als auch unbedruckten in Kirigami Technik geschnittenen Papieren, die mit Aquarellfarben übermalt und in Plexiglas gerahmt sind. Rosenkranz erkundet die Symbolik der Schlange, die aus langer Tradition kulturhistorisch gewachsen ist und dessen archetypische Bildsprache sie auf das Papier überträgt. Bekannt für ihre doppelte Natur ist die Schlange ein Symbol für die schmale Linie zwischen Leben und Tod. Mit ihrem Gift, das sowohl als starkes Heilmittel wie auch als tödliche Waffe dient, ist sie mit uralten schamanischen Annahmen verbunden und löst zugleich tief verwurzelte evolutionäre Ängste aus.
Inspiriert von dieser Bedeutungsebene, sowie der evolutionären Entwicklung vom aquatischen zum terrestrischen Leben, verweisen Healer Scrolls auf den Übergang neuer Existenzformen. Die fließenden Schwimmbewegungen wurden zu der schlängelnden Fortbewegung von Landtieren, ermöglicht durch den schuppigen Körper. So deutet die Serie einerseits auf die Evolution lebender Organismen und markiert gleichzeitig selbst eine Schnittstelle technologischer Entwicklung, zwischen historischer Handwerkstechnik und maschineller Produktion. Die Papierarbeiten wirken sowohl konstruiert als auch fragil und hinterfragen durch die Nachahmung organischen Materials anhand mechanischer Präzision unsere Beziehung zur natürlichen und künstlichen Welt. Der Titel impliziert zudem die Entwicklung digitaler Informationsübertragung, die durch scrollen im Internet konsumiert wird und dem Lesevorgang historischer Schriftrollen gleicht.