Der Ausstellungstitel under the sun leitet sowohl metaphorisch als auch wörtlich durch das Werk der Künstler/innen Liz Deschenes, Rindon Johnson und dem Kollektiv Troika. Zum einen verweist die englische Redewendung (dt. auf der ganzen Welt) auf die kollektive Existenz von Dasein auf dem gesamten Planeten Erde, das sich aktuell mit zahlreichen Veränderungen konfrontiert sieht. In den Werken der Künstler/innen spiegelt sich dies in einem Interesse an sozio-ökonomischen Strukturen und deren Auswirkungen auf die Natur wider. Zum anderen kann der Titel under the sun auch wörtlich gelesen werden: Die Sonne erzeugt Licht und Energie, die von den Künstler/innen als Instrumente und Gestaltungselemente eingesetzt werden. Die Positionen verbindet somit auch das Interesse an physikalischen Prozessen sowie den formalen Veränderungen, welche durch Belichtung, Wärme, Sonneneinstrahlung oder materielle Ressourcen auf die uns umgebende Realität einwirken.
Dieser Viewing Room stellt die drei künstlerischen Positionen in den Vordergrund und bietet auch über die Werke der Ausstellung hinaus einen Einblick in das Schaffen der Künstler/innen. Für weiterführende Informationen, Texte und zusätzliche Abbildungen klicken Sie bitte auf das jeweilige Werk.
– Rindon Johnson
Photo: © Rindon Johnson
Rindon Johnson (*1990 in San Francisco, US, lebt in Berlin, DE) ist multidisziplinärer Künstler und Autor, dessen Werke stets in der Sprache verwurzelt sind und sich zwischen skulpturalen Arbeiten und virtuellen Sphären bewegen. Johnson untersucht, wie physische und digitale Räume miteinander verwoben sind und wie Sprache diese Realitäten formt, indem sie versagt, widerspricht oder befähigt. Text ist eines der zahlreichen Medien, die der Künstler sich aneignet und in neuen Kombinationen zusammensetzt, um Fragen hinsichtlich Autonomie und Macht aufzuwerfen. Neben seinen Künstlerpublikationen wird Text jedoch nur in Form der Werktitel, welche Gedichten ähneln, sichtbar. Dabei untersucht Johnson die Auswirkungen von Kapitalismus, Klima und Technologie und wie wir uns selbst sehen und konstruieren. Durch die Verbindung von Wort, Technologie und Objekt entstehen vielschichtige Werke, wobei Johnsons Ausdrucksformen von Publishing, Virtual und Augmented Reality bis hin zur Arbeit mit Materialien wie Leder, Holz und Stein reichen.
May the moon meet us apart, may the sun meet us together (2021) ist ein animierter Virtual-Reality-Film und Teil der 2019 begonnenen Nere Gar-Serie des Künstlers. Dies ist eine Serie von spekulativen Fiktionen, in denen sich ein neues Verständnis der Empfindungsfähigkeit von Pflanzen und Tieren entwickelt. Zu den wissenschaftlichen Durchbrüchen innerhalb dieser filmischen Erzählungen des Künstlers gehört eine durch Biotechnik neu geschaffene Spezies von gliederlosen Meereswesen, genannt „Bists“. Diese schwimmen friedlich unter Wasser und zersetzen das Mikroplastik, welches den Planeten überschwemmt. May the moon […] zeigt eine Versammlung dieser aquatischen Wesen und ihre behutsamen Berührungen untereinander, während Sonnenstrahlen durch die Wasseroberfläche scheinen und man das Wellenrauschen der Gezeiten vernehmen kann. Johnson verweist in Verhalten und Aussehen der „Bists“ auf hochintelligente Oktopoden und deren Begegnungen im Meer und geht der Frage nach, wie Wesen miteinander umgehen, wie Intimität und Vertrauen entstehen. May the moon […] zeigt Szenen des Begehrens und der Empathie, um unsere Beziehungen zu anderen nicht-menschlichen Wesen neu zu denken und um Gedanken einer transhumanen Evolution zu wecken. Begleitet wird das Video von einem ruhigen Soundtrack komponiert von Anthony Green und Elizabeth Baker.
"Ultimately, my materials, their provenance, and our mediated time together create virtual spaces while reflecting within the impacts of globalization, capitalism, the climate, desire, and 'new' technologies."
– Rindon Johnson
Video Rindon Johnson: Law of Large Numbers: Our Bodies, Sculpture Center (2021)
Cambrian slippery wetness, I’ve never looked at anything so long, and in which of us people does the common matter rise? (2021) ist eine Wandarbeit aus Leder, ein Material auf das Johnson immer wieder zurückgreift, um auf verschiedene gesellschaftliche Themen zu verweisen. Als Nebenprodukt der Fleischindustrie erworben, behandelt der Künstler die Häute mit verschiedenen Mitteln, wie Polyurethan, Bleichmittel, Mineralen und Farbstiften und überlässt sie für Monate der Witterung, welche ebenfalls Spuren in das Leder zeichnet. Mit der Materialwahl nimmt sich Johnson der Häute an und verweist durch deren Präsentation auf die allgemeine Unterwerfung, Vernachlässigung und Austauschbarkeit von Lebewesen in unserer heutigen Zeit. Der eigentliche Akt der Häutung, eine gewaltsame Überschreitung der Körpergrenzen, veranschaulicht diese Form der Objektivierung. Johnson unterstreicht mit den Arbeiten aus Leder die Anerkennung der Handlungsfähigkeit von Tieren und stellt Ethik und Nachhaltigkeit unserer profitorientierten Interessen in Zusammenhang mit tierischen Produkten in Frage. Gleichzeitig überträgt Cambrian slippery wetness […] diese Fragen auf identitätspolitische und klassistische Themen, sowie Praktiken der rassistischen Ausbeutung.
Rindon Johnson Arbeiten wurden in internationalen Ausstellungen gezeigt, zuletzt als Solopräsentation im Sculpture Center in New York (2021), im Museum of American Art in Washington (2021) und in der Julia Stoschek Collection in Düsseldorf (2019). Johnson schrieb mehrere Bücher, hielt Lecture Performances und Readings, unter anderem im MoMa PS1 (2018) und KW in Berlin (2019) und publizierte Arbeiten und Texte in Kollaboration mit Museen und Magazinen, wie der New York Times.
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Ausstellungsansicht CIRCUMSCRIBE, JSC Düsseldorf (2019) | Photo: Alwin Lay, Köln.
"Depending on the day, the weather, the architecture, and the presence or absence of others in the gallery, each encounter with Deschenes' work is a unique experience that speaks to our fundamental desire to be transformed by art."
– Eva Respini, Chefkuratorin, Institute of Contemporary Art ICA, Boston
Liz Deschenes | Photo: Stephen Faught, Miguel Abreu Gallery, New York
Liz Deschenes (*1966) wurde in Boston geboren und lebt und arbeitet heute in New York. Sie besuchte die Rhode Island School of Art and Design, wo sie sich zunächst zum Studium der Malerei einschrieb, aber schließlich ihren Schwerpunkt zur Fotografie wechselte und 1988 abschloss. Deschenes beschäftigt sich in ihrem künstlerischen Werk mit der klassischen Definition von Fotografie als fixiertes Bild auf einer Fläche und erweitert diesen anachronistischen Blick, indem sie mit den Eigenschaften und Möglichkeiten des Mediums experimentiert. Durch kameralose Langzeitbelichtungen von lichtempfindlichem Papier, zu unterschiedlichen atmosphärischen Bedingungen und mithilfe späterer Fixierung mit einer Mischung aus Ammonium, Hydroxid und Silber, entstehen ihre einzigartigen Fotogramme. So entwickelt sie auch skulpturale und architektonische Objekte, die sowohl ihre Umgebung als auch den/die Betrachter/in durch Spiegelungen miteinbeziehen.
Ausstellungsansicht Luogo e Segni, Pinault Collection, Punta della Dogana, Venedig (2019) | © Palazzo Grassi | Photo: Delfino Sisto Legnani, Marco Cappelletti
1898 – 1928 (2019) ist ein hochformatiges Fotogramm, das auf eine Aluminiumplatte aufgezogen gleichzeitig als Fotografie und bildhafter Prozess zu begreifen ist. Liz Deschenes erkundet das materielle Potenzial der Fotografie unter Verwendung der elementaren Aspekte des Mediums: Fotopapier, Licht und Chemikalien. Deschenes zeitintensiver Arbeitsprozess beginnt damit, dass sie lichtempfindliches Papier dem Umgebungslicht der Nacht aussetzt und es anschließend mit Silbertoner wäscht und fixiert. Die so entstandenen Fotogramme tragen feine, abstrakte Spuren ihres Entstehungsprozesses und beziehen durch ihre spiegelnden Oberflächen sowohl die Betrachter/innnen, als auch den räumlichen Kontext ihrer Präsentation mit ein. Da das Material zu weiterer Oxidation neigt, entwickeln sich die Arbeiten im Laufe der Zeit langsam weiter. Der Ausstellungsraum wird so zur Kamera, der je nach Lichteinfall die Veränderung der Oberfläche mitbestimmt. So absorbiert 1898 – 1928 einerseits Licht und macht die materielle Entwicklung der Fotografie erfahrbar. Deschenes versteht ihre Fotogramme aber ebenso als eine Erfahrung von Raum und Zeit, die sich in ihnen einschreibt. Ihre Fotogramme sind im Gegensatz zur traditionellen Fotografie nicht mehr nur eine Momentaufnahme, sondern nehmen die Einflüsse ihrer Umgebung fortwährend in sich auf.
- Liz Deschenes
Video: Luogo e Segni, Punta della Dogana, Venedig (2019)
Der Titel FPS 30 (2018), des fünfteiligen Fotogramms, aus der gleichnamigen Werkserie, verweist auf die Abkürzung „frame per second“ und damit auf die Bildfrequenz bei der Produktion von Filmen. Die Künstlerin bezieht sich dabei auf den frühen Filmpionier Étienne-Jules Marey, der erstmalig mit einer bestimmten Kameratechnik die Illusion von Bewegung auf rotierenden Filmstreifen erzeugte. Für Deschenes steht bei der Serie FPS nicht die Abbildung der Realität oder die Erzeugung einer Illusion im Vordergrund, sondern die räumliche und zeitliche Dimension der Bewegung zu erfassen. Die Künstlerin kehrt Mareys Prinzip des filmischen Apparats um, indem die Fotogramme fixiert sind und die Betrachter/Innen sich im Raum bewegen. Dabei erscheinen sie als flüchtiges Bild auf den einzelnen Panelen und markieren die räumliche und zeitliche Ebene in Deschenes Arbeit. FPS 30 ist zudem eine Aufzeichnung der materiellen Bedingungen seiner Entstehung. Je nach Helligkeit während der Belichtung des fotosensitiven Papiers und der Intensivität der chemischen Entwicklung verändert sich die Struktur der Oberfläche. An die Stelle einer vermittelnden Realität tritt die unmittelbare Realität des fotografischen Prozesses. Die nebeneinander gehängten Arbeiten offenbaren neben der spiegelhaften Wirkung, bei genauerem Hinsehen eine höchstindividuelle sensible Oberfläche: „It changes, it oxidizes, it catches handprints if handled. It is a sensitive, vulnerable material.“
Liz Deschenes Werke wurden zuletzt 2019, parallel zur 58. Biennale von Venedig, innerhalb der Ausstellung „Luogo e segni” in der Pinault Collection – Punta della Dogana präsentiert. Einzelausstellungen der Künstlerin wurden im ICA in Boston (2016), MASS MoCA in Massachusetts, Walker Art Centre in Minneapolis (beide 2015) und in der Secession in Wien (2012) gezeigt, während im selben Jahr Deschenes’ Werke auch auf der Whitney Biennale vertreten waren. Weitere ausgewählte Gruppenausstellungen fanden unter anderem im Musée d’Art Moderne in Paris (2016), im Whitney Museum of American Art (2015) und im Museum of Modern Art (2014) in New York, als auch im Sprengel Museum (2021) statt.
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Ausstellungsansicht Institute of Contemporary Art ICA, Boston (2016) | Photo: Charles Mayer
– Troika
Photo: Studio Troika
Troika ist ein kollaboratives Künstler/innen-Kollektiv, das 2003 von Eva Rucki (*1976, Deutschland), Conny Freyer (*1976, Deutschland) und Sebastien Noel (*1977, Frankreich) gegründet wurde. Die Künstler/innen leben und arbeiten in London, Vereinigtes Königreich. Mit einem besonderen Interesse an den subjektiven und objektiven Lesarten von Realität und den verschiedenen Beziehungen, die der Mensch zur Technologie eingeht, untersucht Troika, wie in der digitalen Welt Informationen übermittelt werden und in die physische Realität übergehen. Ihre Werke beschäftigen sich mit unterschiedlichen Systemen von Repräsentation und verdeutlichen, wie der technologische Fortschritt und die menschliche Realität sich gegenseitig beeinflussen.
Ausstellungsansicht No Sound of Water, Espacio Arte Abierto, Mexico City (2021) | Photo: Troika
Terminal Beach ist ein animierter Film, der ein futuristisches Endzeitszenario zeigt, indem ein affenähnliches Wesen, den vermeintlich letzten Baum auf der Erde fällt. Mit Hilfe von Motion Capture wurden die Bewegungen einer Person, die eine Axt schwingt, aufgenommen, und auf einen Produktionsroboterarm übertragen, der mit langen dunklen Haaren bekleidet war. Dadurch entwickelt der Roboter eine tierische oder menschliche Anmutung, die ein merkwürdig entrücktes Gefühl vermittelt. In dieser Szenerie bringt der Roboter zu Ende, was die Menschheit vor langer Zeit begonnen hat – die fortschreitende Zerstörung unseres Planeten. Der Titel Terminal Beach ist eine Anlehnung an J.G. Ballard Sammlung von Science Fiction Kurzgeschichten, in deren Mittelpunkt das bittere Paradoxon steht, dass die außergewöhnliche schöpferische Kraft der menschlichen Vorstellungskraft nur von ihrem rücksichtslosen Zerstörungstrieb übertroffen wird.
→ Zum Video-Ausschnitt 1 und Video-Ausschnitt 2
- Troika
Video: No Sound of Water, Espacio Arte Abierto, Mexico City (2021)
Evolutionary Composite (2021) ist Teil einer Werkserie in denen Troika Salzkristalle als treibende Kraft hinter einer Reihe von Erfindungen und Technologien ins Zentrum rückt, ohne die sich die menschliche Zivilisation nicht so entwickelt hätte, wie wir sie kennen. In den Wandarbeiten stellt das Kollektiv zwei Objekte gegenüber, die für die humane Zivilisation bedeutend sind: Das älteste Werkzeug der Menschheit – einen Faustkeil aus Feuerstein – und ein Wafer aus Silizium, der in der Herstellung von Computern genutzt wird. In der Herstellung beider spielt Salz eine wichtige Rolle, das im Laufe von 3,3 Millionen Jahren als Material verfeinert wurde. In dieser Betrachtungsweise macht es den Anschein, als ob das Salz durch seine eigene Kraft den menschlichen Fortschritt für immer vorangetrieben hätte. Mit Evolutionary Composite schlägt Troika eine Brücke über Jahrmillionen, in denen Salz zum Werkzeug für Kontrolle, Domestizierung der Natur und Veränderung unserer Umwelt geworden ist, sowie zum heutigen technologischen Fortschritt beigetragen hat. Gleichzeitig hinterfragen die Werke den stetigen Drang nach Wachstum, den Status quo modernen Lebens.
Troikas Light Drawings, darunter Fahrenheit 251 (2014) und Path of Least Resistance (2014) entstehen durch elektrische Entladungen die sich in das Papier einbrennen und unkontrollierbare Muster in organischer und verzweigter Form hinterlassen. Diese Spuren wecken Assoziationen mit Flussläufen, Blutgefäßen und Pflanzenwurzeln – Formen deren Entstehungen alle auf das gleiche genetische Gesetz zurückgehen. Der Entstehungsprozess von Fahrenheit 251 und Path of Least Resistance entziehen sich jeglicher Kontrolle und wird lediglich durch den Widerstand des Materials und die darauf einwirkende Kraft gelenkt. Der Strom folgt der Spur des geringsten Widerstandes, um seinen Kreis zu schließen. Troika legt hier – wie in vielen ihrer Arbeiten – den Ausgangspunkt fest und entwickelt nach dem Prinzip des Zufalls eine Ästhetik der Unvorhersehbarkeit. Gleichzeitig halten die Light Drawings die aufgrund ihrer Natur unsichtbaren Gestaltungsmedien Licht und Strom fest und machen zumindest deren Spur nachvollziehbar und sichtbar. Troika greift häufig auf wissenschaftliche Systeme zurück, wobei hier die Wiederholung des Unter-Strom-Setzens ein systematischer Grundstein zu sein scheint, der durch den Zufall die physische Realität und deren individuelle Wahrnehmung durchdringt.
Ausgewählte Einzelausstellungen von Troika fanden im Espacio Arte Abierto in Mexico City (2021), Barbican Gallery in London (2019), NC Arte in Bogota (2015) und Daelim Museum in Seoul (2014) statt. Troikas medienübergreifende Arbeiten sind Teil der Sammlungen des Centre Pompidou in Paris, des M+ in Hongkong, des Victoria & Albert Museums in London, des Art Institute of Chicago, des MoMA in New York, der Jumex Collection in Mexiko City und des Israel Museums in Tel Aviv. Im Jahr 2010 realisierte Troika drei ortsspezifische Installationen für den Britischen Pavillon auf der Weltausstellung Expo in Shanghai.
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Ausstellungsansicht Walk the Line: New Paths in Drawing, Kunstmuseum Wolfsburg (2015)