Gespräch zwischen Jürgen Partenheimer und Ivo Mesquita

Katalog: Jürgen Partenheimer. Siave Loucura / Gentle Madness, 29 November 2004

Ein Gespräch zwischen Jürgen Partenheimer und Ivo Mesquita in der Pinacoteca do Estado in São Paulo

Übersetzt aus dem Englischen von Bruno Glatt

 

IM
Ich überlege gerade, ob dieses Gespräch nicht eine Art Einführung in Deine Kunst sein könnte, auch in Deine Arbeitsmethoden und zudem über Dich selbst, da dies Deine erste Ausstellung in Brasilien ist. Es wäre schön, wenn Du uns etwas über Deinen Werdegang erzählen könntest und wie Du zur Kunst kamst.


JP
Ich glaube, dass ich schon seit meiner Kindheit von Bildern und Geschichten fasziniert war und mir fällt dazu ein schöner Ausspruch ein: „Künstler zu werden ist so natürlich wie atmen.“ Ich denke, ich bin ein wacher Träumer, ein Sammler von Norden und Süden.


IM
Heute kann man sich schwer vorstellen, dass man ohne eine Akademieausbildung Künstler werden kann. Als ich studierte gab es keine Ausbildung für Museums Kuratoren und heute habe ich eine Professur an einer Akademie für Kuratoren. Es ist jetzt fast unmöglich, Kurator zu werden ohne akademische Ausbildung. Wie wichtig ist die formale Ausbildung eines Künstlers und wie wurdest Du ein professioneller Künstler?


JP
Die traditionelle Ausbildung eines bildenden Künstlers in Europa findet normalerweise an einer Kunstakademie statt. 1968 entschied ich mich, mich an der Kunstakademie in München zu bewerben, an der Künstler wie Paul Klee und Kandinsky gelehrt haben und großen Einfluss auf die Entwicklung der Moderne hatten. Mir kam jedoch die Münchner Akademie damals für meine Vorstellung eher konservativ vor und ich beschloss, mich an der Universität für die Fächer Philosophie und Kunstgeschichte einzuschreiben, da ich mehr über Künstler und die Kunst erfahren wollte


IM
Wann begannen für Dich Literatur, Lyrik und Musik wichtig zu werden im Zusammenhang Deines Interesses an der Kunst?


JP
Das war in den 60er und 70er Jahren, als München eine der kulturell lebendigsten und wichtigsten Städte in Deutschland war. In der Zeit hörte ich erstmals zeitgenössische Musik von Luigi Nono und John Cage und ging viel ins Theater. Meine größte Inspiration dieser Zeit waren Literatur, Musik und die performativen Künste.


IM
München hat eine wunderbare Pinakothek.


JP
Als ich Sieben Jahre alt war, nahm mich meine Mutter das erste Mal mit in die Alte Pinakothek und ich erinnere mich gut, wie wir in den riesigen Räumen mit all den Meisterwerken saßen. Für mich war das eine Traumwelt und ich fühlte, dass das eine Welt ist, zu der ich gehören möchte. Jahre später, 1969, während meiner Studienzeit lernte ich einige der damals führenden spanischen zeitgenössischen Künstler kennen, die mich nach Spanien einluden. 1970 erhielt ich dann ein Stipendium für die Weiterführung meines Studiums in den USA.


IM
Du hast damals eine besondere Beziehung zu Spanien entwickelt und mit einigen ihrer bedeutenden Lyriker zusammengearbeitet und später sehr oft in Spanien ausgestellt.

JP
Die spanischen Kuratoren, die mich in den 80er und 90er Jahren zu Museumsausstellungen einluden, wussten nichts von meiner „spanischen Vergangenheit“. Ich habe in der Zeit, unabhängig von meinen spanischen Kontakten, in den USA gelebt, unterrichtet und ausgestellt.


IM
Mir scheint, dass Dein Werk mit der amerikanischen Malerei und der amerikanischen Tradition zeitgenössischer Kunst sehr verbunden ist. Du erwähntest zwar die spanische Kunst, aber ich glaube, dass der amerikanische abstrakte Expressionismus einen stärkeren Eindruck auf Dein Werk ausübte.


JP
Die amerikanische Malerei hatte in der Zeit keinen wirklich bedeutenden Einfluss auf mich, ich war stärker beeindruckt von der Haltung und dem Werk von Max Beckmann, aber doch auch von Künstlern wie Barnett Newman und Philip Guston. Nach der Zeit in den USA kehrte ich nach Deutschland zurück, auch um mein Studium an der Universität in München abzuschließen. In den USA beendete ich mein Akademiestudium mit dem Master of Fine Arts und in Deutschland promovierte ich in München im Fach Kunstgeschichte. In der Zeit entwickelte sich für mich eine Art Doppelkarriere in den USA und Deutschland. In den frühen 80er Jahren hatte ich die Ehre Leo Castelli in New York kennenzulernen und hatte meine erste Ausstellung mit Druckgraphik und Zeichnungen in der Castelli Uptown Galerie, was für einen jungen Künstler zu der Zeit eine einzigartige Erfahrung war.


IM
Du hast auch von Deinem Interesse am Theater gesprochen, was mir zu Deiner künstlerischen Arbeit zu passen schien und das nicht nur wegen Deiner Installationen, sondern auch wegen einer gewissen erzählerischen Qualität in Deinem Werk. Trotz der eher kleinen Formate erhält man den Eindruck, als seien sie in ihrer Bewegung und der Art ihrer Sprachgewandtheit das Werk eines Choreographen.


JP
Manche Zeichnungen ähneln Partituren, andere könnten tatsächlich aus einer choreographischen Aufzeichnung stammen. Oft wurden meine Zeichnungen mit ganz eigenen Energiezuständen, der Wahrnehmung von Leerstellen und einer bestimmten Geisteshaltung in Verbindung gebracht. In den späten 70er Jahren hat man meine Zeichnung in einer Verwandtschaft zur Konzeptkunst gesehen. Zu der Zeit lebte ich in Düsseldorf und wurde dort 1979 zu meiner ersten internationalen Ausstellung nach Edinburgh eingeladen. Edinburgh stand damals in enger kulturell zeitgenössischer Beziehung zu Düsseldorfer Kunstszene.


IM
Wie siehst Du den Begriff vom „Ende der Malerei“ als dem großen Vermächtnis des amerikanischen abstrakten Expressionismus? Wie gehst Du als „malender“ Künstler damit um?


JP
Als junger Künstler war meine metaphorische Antwort auf die Werte der Tradition, „die Brücken der Tradition einzureißen“, jedoch nicht, um sie zu zerstören, sondern um sie neu zu errichten. Da mir die Geschichte der Kunst sehr vertraut war, hatte ich keinerlei Interesse die Malerei der klassischen Moderne zu wiederholen und wandte mich verstärkt dem Medium der Zeichnung zu.


IM
Jede gültige künstlerische Tradition entwickelt ihre eigene Genealogie, jeder guter Künstler muss sich seiner Wurzeln bewusst sein, denn es bestehen immer Bezüge. Ich meine damit ein bestimmtes, aufmerksames Bewusstsein, ich spreche von der Moral der Kunst oder von den eigenen moralischen Ansprüchen.


JP
Sicherlich ist es wichtig sich der Vergänglichkeit bewusst zu sein und dennoch über Beständigkeit nachzudenken. Ein angedeutetes oder vorhergesagtes Ende kann gleichzeitig einen Neubeginn einleiten. Die Frage bleibt, wie wir Wirklichkeit aus zeitgenössischer Sicht bestimmen und ich frage mich, ob es dafür ein besonderes Medium gibt, das gleichzeitig den Zeitgeist überwindet. Ein scheinbar archaisches Medium, wie z.B. die Zeichnung kann sich als ebenso zeitgenössisch erweisen, wenn es den Inhalten seiner Zeit entspricht. Dem wahren Medium ist wahrhaftige künstlerische Ausdrucksform immanent, sie bleibt zeitlos.


IM
Das ist das interessante an Deiner Arbeit: sie scheint nach einem Ideal zu streben. Das Werk spricht von der Stille und trägt zugleich das Bewusstsein einer Haltung des 21.Jahrhunderts in sich, das von Technologie und dem Lärm der Zeit geprägt ist, in der die Kunst als Teil der Unterhaltung, des Tourismus, des show business und der Industrie gesehen wird. Mir scheint als würde Dein Werk sein Maß zu bewahren suchen, seine ureigene Dimension, in der das Thema, sein Gegenstand eine besondere und einmalige Erfahrung bewältigt.


JP
Was Du beschreibst ist durchaus richtig und dennoch kann es leicht zu einem Missverständnis führen, wenn diese Haltung beispielsweise als Realitätsflucht interpretiert wird. Als glaubhafter Zeitgenosse ist sich der Künstler seines „Hier und Jetzt“ bewusst. Er bewahrt und schützt seine Träume und zeigt all den „Unschuldigen“, die kein Gedächtnis haben ihre Herkunft.


IM
Aber was bedeutet das? Es ist zum Beispiel sehr aufschlussreich zu sehen, wie Du in unterschiedlichen Ländern in der ganzen Welt ausgestellt hast. Warum reist Du mit Deinem Werk, was bedeutet Dir dieses Reisen? Hast Du eine Strategie für die politischen und kulturellen Inhalte Deines Werkes?


JP
Ich bin immer eingeladen worden, um mein Werk im Ausland zu zeigen. Das Reisen entspricht dabei einer Geisteshaltung, es charakterisiert die Lebensweise des modernen Künstlers als Nomaden und ist eine Form des Sich-Aussetzens, eine Herausforderung überkommene kulturelle Vorurteile zu überwinden. Reisen ist eine Form der Inspiration, es schärft meine Aufmerksamkeit, hält mich wach, bereichert mein Leben und führt zu bedeutenden Begegnungen.


IM
Aber es gibt Referenzen in Deinem Werk, wie zum Beispiel chinesische Mythologie und Kalligraphie. Gibt es eine Art offener Bereitschaft in dieser Hinsicht, was archetypische Zeugnisse betrifft oder kulturelle Hybridisierung? Ein anderer bemerkenswerter Aspekt Deiner internationalen Ausstellungstätigkeit scheint, als würdest Du eine Art lokalen Kontext für Dein Werk anstreben, wie zum Beispiel die Integration Deiner Skulptur „Axis Mundi“ im Zusammenhang eines charakteristischen Ortes in China, oder die Aufnahmen, die Du hier in São Paulo mit Deinen Bildern an verschiedenen Orten machst.


JP
Die Skulptur existierte lange vor meiner Reise nach China. Meistens entstehen kulturelle Missverständnisse durch Projektionen, denn offensichtliche Verweise oder Ähnlichkeiten erweisen sich als eine Falle. Der Kontext, den ich gestalte, ergibt sich durch das Werk selbst. Die Charakteristik des Werkes bestimmt den formalen Rahmen seiner Erscheinung oder er ergibt sich aus inhaltlichen Bezügen. Die Aufnahmen, die ich in São Paulo im Zusammenhang der Ausstellung gemacht habe, sind Ausdruck einer intuitiv bewussten Idee, die an jedem Ort zu jeder Zeit stattfinden kann. Die Gruppe der Fotografien ist nun als eigenständiges Werk Teil der Publikation für die Ausstellung, inspiriert durch die Stadt. Das kann man geopoetisch nennen.


IM
Was Du sagst geht zurück auf das immateriell-abstrakte in Deinem Werk, in dem sich ein spirituelles Anliegen zeigt, wie es auch bei Künstlern wie Kandinsky und Klee vorkommt.


JP
Ist nicht kritisches Bewusstsein von Tradition eine Voraussetzung und zugleich die universelle Bedeutung der Kunst?


IM
Selbstverständlich! Wir haben darüber schon gesprochen und ich glaube auch nicht, dass das als eine Art von Realitätsflucht interpretiert wird, wie Du vorher sagtest. Es ist eher ein „alles im Fluss halten“, die Kunst aufrechterhalten.


JP
Das ist zutreffend. Als ich in den 80er Jahren in den USA ausstellte, vornehmlich in New York, erinnere ich, dass die meisten Kunstkritiker mein Werk als eine ungewöhnliche, nicht-deutsche, lyrische Abstraktion sahen, die sie als global kosmopolitisch und nicht national beurteilten. Zu der Zeit schien der deutsche Neo-Expressionismus die Welt zu erobern und ich war in New York und machte etwas völlig anderes.

 

IM
Es war die Boom Zeit der Identitätspolitik, Multikulturalismus und der Konzepte zur
Repräsentation und Andersartigkeit. Zu der Zeit wurde von deutschen Künstlern wahrscheinlich erwartet, dass sie entweder wie Kiefer arbeiteten oder wie Salome und diese Art von Künstlern.


JP
Mich interessierte dieser Trend überhaupt nicht. In den 80er Jahren nahm ich in Deutschland eine Ausnahmeposition ein. Von einigen Kuratoren und Kunstkritikern als „Intellektueller“ bezeichnet, wurde ich besonders wegen meiner Promotion in Kunstgeschichte offen angefeindet. Mit anderen Worten, theoretische und analytische Fähigkeiten schienen eine ungesunde Voraussetzung für den „wahren“ Künstler!
Heute hat diese ehemals negative Einstellung eine vollständige Kehrtwendung erfahren. Kritiker wie Kuratoren verkünden den Künstler als öffentlich kritischen Forscher und von jungen Künstlern wird ein theoretischer Diskurs über das Werk erwartet. So werden beide Enden einer einseitigen Übertreibung offensichtlich, die im Grunde albern ist. Wenn ich mich entscheide zu schreiben, dann wird die Textarbeit zu einem eigenständigen Werk, wie die Skulptur, die Malerei oder die Zeichnung. Die Kunst steht über der Beurteilung nach konventionellen Kriterien.


IM
Was erwartest Du von Deiner Ausstellung in São Paulo? Was bedeutet sie für Dich?
Ich bin mir nicht sicher, ob Du die Möglichkeit hattest Werke der brasilianischen Moderne oder der zeitgenössischen Kunst zu sehen, vielleicht auch nur, um zu sehen, welchen Nachhall Deine Kunst hier haben könnte. Brasilien fußt auf einer Tradition und auch auf einem gegenwärtigen Interesse an der Art von Abstraktion, die Dein Werk auszeichnet. Aber es ist nicht nur das, ich würde sagen, dass Du Deine Vorstellung, die Materialität Deiner Mittel und Dein Bekenntnis zur reinen Abstraktion mit einigen brasilianischen Künstlern teilst.


JP
Nach Brasilien kam ich ohne konkrete Erwartung, aber mit einem großen Interesse, Themen und Inhalte zu diskutieren, die mir wichtig sind. Ich kam allerdings auch, um mein Werk in einem anderen Kulturkreis zu überprüfen und zu erfahren, wie es sich emotional und intellektuell behauptet. Den Museen dieser Welt kommt in der Gesellschaft eine entscheidende Bedeutung zu als Forum des Austausches künstlerischer Vorstellungen und Inhalte. Indem ich hier im Museum die Gänge als Übergangsräume zwischen den Galerien interaktiv nutze, markiere ich die charakteristische Architektur des Museums auf eine neue Weise und erhöhe die Aufmerksamkeit für die Kunst und zugleich für die Topologie des Museums. Solche Raumkonzepte hinterfragen die traditionelle Wahrnehmung der Kunst in der „Schutzzone“ des Museums und bewirken auch für die Zeichnung und Malerei eine bisher unbekannte Aufmerksamkeit. Das Museum wird zur Bühne des Künstlers als Choreograph, der die Wahrnehmung verändert, aber nicht das Werk.


IM
Da stimme ich Dir voll und ganz zu.


JP
Lass mich noch einmal auf Deine Frage zurückkommen, was ich von São Paulo erwarte. Ich kannte die Stadt nicht, war aber fasziniert davon, wie sie im Ausland wahrgenommen wird und sogar in Brasilien selbst. São Paulo gilt als Monsterstadt, hässlich, gefährlich, ohne Gesicht. Ich sehe eine Stadt von unglaublicher Energie und einer bemerkenswerten Lebendigkeit, die ich als ungeheuer inspirierend empfinde. Was mich am meisten beeindruckt ist das ostentativ Fiktive der Stadt als Konstruktion, unabhängig von ihrer Energie und Vitalität, die Du als völlig anonym bezeichnet hast. Diese Anonymität ist die eigentliche Herausforderung.

 

Publiziert in "Jürgen Partenheimer. Siave Loucura / Gentle Madness", Pinacoteca do Estado de São Paulo, AR (2005), S. 51 - 62

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