Ausstellungstext: NExECON | niko abramidis &ne

„Auf ihrer Flussfahrt blickten ihnen die in den Fensterhöhlen der Büros und Geschäfte hockenden Leguane nach; […] Ohne diese Reptilien wären Lagunen und halbversunkene Bürohäuser in dieser unheimlichen Hitze von fast traumatischer Schönheit gewesen, aber die Leguane machten die Fantasie zur grausamen Wirklichkeit. Allein durch ihre Plätze in den ehemaligen Aufsichtsratsräumen schienen die Reptilien anzuzeigen, dass sie in dieser Stadt die Herrschaft angetreten hatten. Wieder einmal waren sie zur dominierenden Lebensform geworden.“

J.G. Ballard, The Drowned World (1962)

 

Niko Abramidis &NEs Ausstellung NExECON präsentiert uns eine Zwischenzeit, in der sich Zukunft und Vergangenheit verbündet haben. Der 1962 erschienene Science-Fiction Roman The Drowned World des britischen Autors J.G. Ballard entwirft das dystopische Bild einer ehemaligen europäischen Wirtschaftsmetropole, die sich in eine Sumpflandschaft mit urzeitlicher Vegetation verwandelt hat. Lediglich eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern hält sich noch in einer biologischen Teststation in dem Wolkenkratzer eines ehemaligen Ritz Hotels auf. Niko Abramidis &NEs Leinwand Encrypted Vision scheint uns den traumatischen Blick aus ihrem Laboratorium auf die flirrende Hitze über der Lagune und die darin schlummernden, herrschaftsbegierigen Reptilien freizulegen. Die Zeichnung einer reptilienartigen Kreatur, die vor Pyramiden und einer Skyline der Zukunft marschiert, zeigt auch das Tablet Trade Secret, das auf dem Alpha Conference Table in der Mitte des Ausstellungsraums liegt. Ein ähnliches Wesen ist in der Marmorstruktur des Wandteppichs Ancient Decision Maker erkennbar, wie ein versteinertes Fossil der Zukunft.

Für die Ausstellung erschafft der Künstler eine multimediale Rauminstallation mit Malerei und Zeichnung, skulpturalen und technischen Objekten, die sich mit ökonomischen Strukturen und Zukunftsvisionen beschäftigt. Dabei untersucht er Mechanismen der Finanzökonomie, indem er sich unternehmerische Ästhetiken aneignet und Fragen nach den grundlegenden Prozessen stellt, die unser gegenwärtiges und zukünftiges Leben und Arbeiten bestimmen. Niko Abramidis &NEs Werken liegen sowohl inhaltlich als auch in ihrer materiellen Konzeption vielfache Wirtschaftsbezüge zugrunde, indem er industrielle Produktionsverfahren, wie die Entwicklung von Maschinenprototypen, adaptiert und in seine eigene künstlerische Arbeitsweise transferiert. Beispielhaft verdeutlichen seine Leinwände, die er wie klassisches Textil behandelt, in dem er sie großflächig mit Sprayfarbe färbt und mit logohaften Motiven bestickt, wie er sich die kollektive Wahrnehmung und das Wertesystem der Fashionindustrie aneignet und in seinen eigenen künstlerischen Kosmos überführt.

 

Die Futurologie bezeichnet Forschungsansätze, die sich der wissenschaftlichen Untersuchung von möglichen zukünftigen Entwicklungen verschrieben haben. Dem hingegen ist die Archäologie eine Wissenschaft, die rückblickend kulturelle Entwicklungen der Menschheit erforscht. Beide Wissenschaften konstruieren logischerweise vom Standpunkt der Gegenwart aus, welche wiederum zu erforschen eine größere Herausforderung darstellt, wie es Tom McCarthy in seinem 2015 erschienenen Roman Satin Island treffend beschreibt. Darin wird ein Firmenanthropologe beauftragt, einen großen Bericht über die Gegenwart zu schreiben, woran er überwältigt von der schieren Datenmenge und der augenscheinlichen Unmöglichkeit, all das Vorgefundene in einen sinnstiftenden Report zu übersetzen, scheitert. Aber vermag es vielleicht die Kunst, jeher als Spiegel der Gesellschaft, ein Bild vom Jetzt aufzuzeigen? Niko Abramidis &NE verarbeitet nicht nur fiktive literarische Bezüge in seinen Werken, er stellt auch aktuelle, zeitliche Verbindungen her. Seine eigene Vision des Corporate Designs eines zukünftigen Unternehmens beinhaltet gleichzeitig Leinwände, Zeichnungen und installative Objekte, die Bezüge zu vergangenen Hochkulturen aufweisen, wie in Form von Pyramiden und Schriftzeichen, wodurch er den Zeithorizont, in dem seine Werke zu verstehen sind, in zwei Richtungen erweitert. In seiner Rauminstallation aus Cryptic Machine Prototypes, einem Alpha Conference Table und Leinwänden mit bezeichnenden Titeln wie Pyramid Exchange oder Global Desert wird uns eine Archäologie der Zukunft vorgeführt, die sich insbesondere mit der Entwicklung von Finanzmärkten, Corporate Identity und Machtstrukturen beschäftigt.

 

In Niko Abramidis &NEs fiktivem Headquarter hängen eine Reihe von großformatigen, leuchtenden Stahlobjekten, die mit PIN-Pads und Video-Screens ausgestattet sind. Die Cryptic Machine Prototypes sind Maschinen, die scheinbar aus der Zukunft kommen, in ihrer Zeit aber bereits veraltet sind. Sie stellen den Versuch einer Imagination der Zukunft in einem bildhaften Objekt dar, vergleichbar mit der Fiktion J.G. Ballards in Form eines Texts. Ihre Oberflächen weisen Vegetationsspuren und Oxidationsflecken auf. Es sind die Prototypen der Maschinen, die in der Zukunft vielleicht gerade im Gebrauch sind oder es nie gewesen sein werden? Einzelne Elemente wie leuchtende Schlitze und PIN-Pads deuten auf eine Nutzung als Geldautomaten hin. Jedoch sind sowohl das traditionelle Bankensystem als auch die Automaten für Kryptowährungen- und transaktionen, wie der Serientitel andeutet, irrelevant. Vielen Werken von Niko Abramidis &NE liegt genau diese Ambivalenz von futuristischer und gealterter Ästhetik zugrunde.

Bargeld verschwindet zunehmend aus dem Alltag indem es durch digitale Zahlungsarten, wie Apple Pay mittels NFC-Tech­nologie, ersetzt wird. Der Künstler adaptiert diese neuen technologischen Entwicklungen für sein Werk, indem er beispielsweise RFID-Mikrochips in seine Papierarbeiten integriert. Die spontane, analoge Handzeichnung erfährt so eine Erweiterung in den digitalen Raum, in dem der Künstler weitere Informationen und verschlüsselte Nachrichten in den Links auf den Chips hinterlegt.

Aber auch aus Sicherheitsgründen verändert sich unsere Beziehung zu Bargeld, wie der Rat der Europäischen Zentralbank 2016 beschloss den 500-Euro-Schein Schritt für Schritt abzuschaffen, da die meisten dieser Scheine im Kreis organisierter Kriminalität kursieren. Auf die Macht des Geldes in unserer Gesellschaft verweist Niko Abramidis &NE durch Blow-Ups von Geldscheinen, die er in Einrichtungsgegenstände überträgt. Der Vorhang Blitz Blanko Invest im Schaufenster der Galerie bildet einen stark vergrößerten 500-Euro-Schein ab. Der Wert des Scheins ist allerdings verschwunden im Gegensatz zu anderen Elementen des Originals, wie eine Brücke moderner Architektur und der Umriss des europäischen Kontinents. Niko Abramidis &NE führt uns in dieser Arbeit vor Augen, dass die Realität, in der wir leben, in vielfacher Weise konstruiert ist: Das moderne Bauwerk, die Idee Europa und die Währung Euro stehen für den Fortschritt und die Vision einer bestimmten Zeit. Insbesondere Geld basiert größtenteils auf reinem Glauben und Vertrauen, worin der Künstler jedoch prinzipiell eine wichtige und positive Grundlage für Veränderung sieht. Die Form des europäischen Kontinents hat sich auf dem Geldschein des Künstlers ebenfalls bereits verändert, also wollte er fragen, wie Europa in der Zukunft aussehen wird und welche neuen Finanzschauplätze es vielleicht geben wird?

 

In NExECON, the next economy, wird die Vernetzung von Zeit und Geld sowie deren Wert besonders sichtbar. Niko Abramidis &NEs erschafft in seiner Ausstellung eine Gegenrealität unternehmerischer Identität, in der Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft, Technologien, zeitgenössische und historische Symboliken miteinander verschmelzen. In der ironischen und übersteigerten Aneignung von Corporate Identity und globalen Ausdrucksformen der Finanzökonomie wird die Grenze zwischen Realität und Fiktion nahezu aufgehoben. So wie sich Großkonzerne eigene Abteilungen für Corporate Anthropology leisten, um die Gegenwart und zukünftige Trends zu beobachten, werden wir nun Zeuge von einem neuen Unternehmenszweig, der Corporate Culture von Niko Abramidis &NE.

 

Text von Madeleine Freund

 

 

→ zum Viewing Room Becoming a New Entity

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